
17 Feb. Thema Wohngemeinschaft – Was macht WG mit mir?
Wir alle hatten mindestens eine Person in unserem Bekanntenkreis, die für bestimmte Zeit ins WG-Leben hineingeschnuppert hat und sicherlich sind jedem von uns unterschiedliche Geschichten erzählt worden, doch wie genau ist das WG-Leben wirklich und viel wichtiger: Was macht es mit mir? Seit meinen 17. Lebensjahr probiere ich mich an dem Konzept „Leben mit Mitbewohnern“. Auf meiner Reise, die mich ins Nachbarland Dänemark führte, lebte ich im Internatszimmer, Schülerwohnheimen bis hin zur ersten eigenen Wohnung, die uns vom Schülerwohnheim aus gestellt worden war.
Bye, bye Hotel Mama!
Es begann damals alles mit der Entscheidung nach der Mittleren Reife ins Ausland zu gehen. Ich zog in ein Internatszimmer einer „Efterskole“ in Dänemark und bekam damit zwei vollkommen neue Menschen in mein Leben, die ich kennenlernen durfte. Wie sind sie drauf? Wie weit kann ich gehen, was Humor angeht? Wo sind ihre Grenzen? Stört es sie, wenn ich etwas lauter Musik höre beim Duschen? Viele Fragen schwirrten mir zu dem Zeitpunkt durch den Kopf, doch dafür war ehrlich gesagt gar keine Zeit.
Mit dem Betreten des Zimmers, das wir uns teilten, wurde ich direkt in die neue Wohngemeinschaft hineingeworfen und auch Sprachbarrieren wurden bald überwunden. Eine meiner Mitbewohnerinnen konnte nur wenig Deutsch und sprach hauptsächlich Dänisch, doch die Verständigung klappte mit Händen und Füßen und das Jahr verging schneller als gedacht.
Zum Halbjahr zog meine dänische Mitbewohnerin aus und das Zimmer gehörte von nun an meiner deutschen Mitbewohnerin und mir. Das starke Band, das wir uns damals aufgebaut haben, durch mitternächtliche spontane politische Diskussionen, Filmabende, Aufräumen und Putzen mit einem sehr fragwürdigem, aber durchaus unterhaltsamen Podcast, hält bis heute an.
Es sind Momente entstanden, die ich nie vergessen möchte, da ich mit meiner Mitbewohnerin durch dick und dünn gegangen bin. Spontan fällt mir gerade der Tag ein, an dem ich meiner Mitbewohnerin die Haare pink färben sollte, doch beim Auswaschen der Farbe brannte sich mehr davon in die Fliesen ein, als in die Haare und den Rest des Jahres hatten wir einen „leicht“ pink gefärbten Badezimmerboden.
Wir haben uns gegenseitig geärgert, gemeinsam geweint und stundenlang geredet vom ersten Tag an.
Viele würden sagen, dass es eine große Umstellung war, doch diese fiel mir durch meine Mitbewohnerin und meinen neuen Freunden auf dem Internat erstaunlich leicht.
Mir wurde oft großer Respekt gezeigt, dass ich diese Entscheidung getroffen hatte und auf eigene Faust ins Ausland gegangen bin ohne meine Eltern, doch es kommt immer der Moment, an dem man das Hotel Mama verlassen wird und zur eigenen Reise aufbrechen möchte. Das Internat war eines meiner Schuljahre. Ich hatte nicht nur einen unglaublichen Spaß mit meinen Freunden, sondern auch einen tolle Mitbewohnerin mit der ich durch gute und schlechte Zeiten gegangen bin.
Schülerwohnheim
Nach dem Jahr im Internat wechselte ich die Schule und wohnte im Schülerwohnheim. Durch meine positiven Erfahrungen im Internat ging ich mit einer positiven Stimmung in die neue Situation und erhoffte mir das Beste. Vielleicht würde sich ja auch wieder so einen tolle Freundschaft ergeben?
Meine Hoffnungen wurden jedoch schon bald zerstört und nach meinem „Internats-Hoch“ folgte mein „Schülerwohnheims-Tief“. Es stellte sich heraus, das ich mit meiner neuen Mitbewohnerin nicht die gleiche Wellenlänge teilte und wir sehr unterschiedliche Weltansichten hatten. Von Tag eins an verschlechterte sich meine Laune und auch meine körperliche Konditionen. Ich suchte Ablenkung im Sport und Aktivitäten mit Freunden, war öfters wo anders und selten im Zimmer, wenn meine Mitbewohnerin dort war. Reibereien kamen bei uns nur dann vor, wenn wir mal miteinander geredet hatten, denn es stellte sich schnell heraus, dass ich auch nicht auf ihrer Wellenlänge war.
Ich lies das Jahr über mich ergehen und wurde zunehmend unglücklicher. Mit mir, mit meinem Leben und allem anderen. Dieser Mensch schaffte es, dass ich an all dem Positiven, das ich mir im Jahr zuvor aufgebaut hatte, zweifelte. Die Lichtblicke die ich hatte, waren meine Freunde und mein fester Freund zu dem Zeitpunkt. Es kam Richtung Ende des Jahres immer öfter vor, das ich bei ihm oder bei Freunden schlief und nicht mehr in meinem Zimmer. Wenn ich anderen davon erzählte, wie es mir in dem Zimmer erging, dann traf ich auf Verständnislosigkeit.
Warum würde ich es denn über mich ergehen lassen, wenn ich mit der Situation nicht zufrieden bin? Und das war eine gute Frage, eine die ich mir zu der Zeit damals immer wieder stellte. Doch anstatt etwas zu ändern, ließ ich es über mich ergehen und lebte vor mich hin, in der Hülle, die ich geworden war. Richtung Ende des Jahres kam ich an einen Wendepunkt, an dem ich beschlossen hatte, das nicht mehr mit mir machen zu lassen, doch ab diesem Punkt wurden auch die Auseinandersetzungen heftiger, da ich anfing mich zu widersetzen. Persönlich setzen mir diese Streitereien mehr zu, als das Ignorieren davor, doch ich wusste, dass ich das nicht mehr mit mir machen lassen durfte. Ich stand das Jahr durch, dank meiner Freunde, die mich immer wieder abgelenkt haben und dank meinen Kopfhörern, die ich abends immer aufgesetzt hatte.
Für mich war dieses Jahr etwas ganz Ungewohntes, das ich auch mit Trauer verbinde. Trauer darüber, dass es so schief lief zwischen uns beiden und keine von uns eine angenehme Zeit hatte. Doch ich nahm viel mit aus diesem Jahr.
Zum Beispiel verbesserte ich den Umgang mit Mitmenschen, die nicht auf meiner Wellenlänge sind und ich lerne, dass mich nicht jeder mögen muss. Es kommt auf die wichtigen Menschen im Leben an, wie Familie, Freunde und Partner. Dazu muss nicht jeder zählen. Und ich machte mir immer wieder klar, dass es OK ist seine Emotionen offen und ehrlich zuzugeben. Zudem bin ich gestärkt aus der Situation gegangen in dem Wissen, dass ich es schaffe zweckmäßig mit Menschen zusammen zu leben, mit denen ich so meine Diskrepanzen habe.
Meine WG-Zeit
Um aus dem Schülerwohnheim rauszukommen, habe ich mich mit zwei weiteren Mädchen aus meiner Klasse in dem Schülerwohnheim für eine WG beworben, die von der Leitung des Schülerwohnheimes angemietet wurde. Als vierte Mitbewohnerin würde meine ehemalige Mitbewohnerin aus dem Internat zu uns ziehen, zu der ich über das Jahr hinaus durchgehend Kontakt gehalten hatte. Zu viert würden wir in das „Abenteuer WG“ starten und es stellte sich heraus, dass es anders werden würde, als die zwei Jahre zuvor. Schon allein die Wohnung war eine Umstellung.
Wir hatten unsere erste eigene Küche, die sich nicht selbst putze, unser eigenes Badezimmer, das nicht mehr die Aufschrift „Gemeinschaftsbad“ trug und drei Zimmer. Für vier Mädchen. In das Doppelzimmer bin ich mit meiner Internatsmitbewohnerin gezogen und die Aufteilung funktionierte wie auch damals schon gut. Sie überlies mir den eingebauten Kleiderschank und bekam dafür die Fensterseite. Als WG setzen wir uns die ersten Tage zusammen ins Wohnzimmer, das damals nur den Esstisch hatte und spielten Spiele zusammen und aßen Pizza. Wir füllten unsere Wohnung mit Möbeln (nur Lampenschirme haben wir bis jetzt nicht, 7/8 Monate nach dem Einzug) und setzen uns an einen gemeinsamen Haushaltsplan.
Von nun an waren es unsere Aufgaben, um die wir uns kümmern mussten. Und stolz kann ich heute behaupten, dass wir uns alle nicht daran gehalten haben! Als WG sind wir gemeinsam durch Zeiten gegangen, da hätte man keinen Besuch reinlassen sollen und ich war ziemlich froh, dass meine Großeltern nicht unangekündigt aufgetaucht sind, da meine Großmutter sicherlich einen lebenslangen Schock von dem Zustand unserer Wohnung getragen hätte. Doch die ganz schlimmen Zeiten haben wir überwunden.
Mittlerweile haben wir eine halbwegs ordentliche Unordnung in der wir leben und mit der wir leben. In den vergangenen Monaten haben wir zusammen Halloween gefeiert, meine Trennung gemeinsam verarbeitet, Geburtstage zelebriert (die dazugehörigen Ballons befinden sich auch heute noch als Dekoration im Wohnzimmer) und unsere Wohnung durch unsere größte Errungenschaft geschmückt: ein Plakat eines lokalen Politikers, da wir auf vollkommen legale Weise erhalten haben und nun zur WG-Tradition gemacht haben, es mit Post-It Zitaten zu schmücken.
Mit den drei anderen Mädchen hier habe ich bis jetzt schon so viel tolles erlebt und wir hegen weitere Pläne für die kommenden Wochen und Monate.
Nach meinem „Schülerwohnheim-Tief“ kam endlich wieder ein Hoch auf mich zu, das mich auch heute noch auf seiner Sturmflutwelle mit sich trägt. Jede Tag ist anders und einzigartig und jeden Tag lernt man seine Mitbewohner etwas besser kennen. Man lernt, sich ein Badezimmer zu teilen, mit den Sachen der Mitbewohner besser umzugehen und auch die Emotionen seiner Mitbewohnerinnen besser zu verstehen und zu akzeptieren.
Was macht WG jetzt mit mir?
Nach diesen unterschiedlichen Erfahrung, die ich in den vergangen Jahren gemacht habe, muss ich ehrlich sagen, dass sie mich verändert haben. Ich kam nach Dänemark, weil ich Veränderung wollte und hatte das beste Jahr meines Lebens.
Ich kam ins Schülerwohnheim mit positiver Einstellung und wurde zutiefst enttäuscht. Ich suchte den Ausweg aus der Situation mit der Wohnung und landete in einem liebevollen und chaotischem Haufen Mädchen, die sich um den anderen kümmern und von den Persönlichkeiten nicht unterschiedlicher sein können. Ich lernte ‚Nein‘ zu sagen, wenn ich etwas nicht wollte oder mir etwas nicht passte. Ich lernte auch Anpassung und Akzeptanz der anderen, da ich selbst auch akzeptiert werden wollte, wie ich bin. Ich bekam neue Freunde, mit denen ich zusammen lebte und mit denen ich tagtäglich meine Spaß habe.
Es hatte alles seine positiven und negativen Dinge, doch ich lernte, mich auf die positiven zu fokussieren, denn dann würden sie zu mir zurück kommen. Es liegt an jedem Einzelnen, ob er das Konzept „Wohngemeinschaft“ ausprobieren möchte oder nicht, jedoch kann ich es jedem empfehlen. Chancen, die auftauchen, zu nutzen und Erfahrungen zu sammeln. Selbst die negativen Erfahrungen helfen, sich persönlich weiter zu entwickeln und vor allem sich selbst besser kennenzulernen.
Seid mutig und gestaltet euer Leben, denn dann tragt ihr ein Gefühl von Lebendigkeit in euch, welches euch die wirklichen Chancen und Möglichkeiten offenbart.
Viel Erfolg und Freude dabei wünscht
Anna Chiara
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